Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 95 / VI / 2020 |
Der Berg ruft …
Erstmals urkundlich erwähnt, wird der markant aufragende Berg im Jahr 1147 in der Gründungsurkunde des Klosters Seckau als mons sekkel [1]. In der Folge wird er immer wieder in Schriftquellen genannt, doch erst mit seiner teilweisen Erschließung und Rodung im Verlauf des 16. und 17. Jahrhunderts mehren sich die historischen Nachrichten über Besteigungen oder andere Aktivitäten. So galt der Schöckl bald als mons altissimus, als „höchster Berg“, wo sich Wissenschaft und Aberglauben begegneten. Nachdem hier im Jahr 1601 noch Johannes Kepler (1571–1630) astronomische Beobachtungen durchgeführt hatte, galt der Schöckl Jahrzehnte später als vermeintlicher Landeplatz und Treffpunkt von Hexen, der fortan auch im Mittelpunkt zahlreicher Hexenprozesse stand.
… die Archäolog/innen kommen …
… und eine Ausstellung entsteht.
Der 1445m hohe Schöckl gilt als „Hausberg“ der steirischen Landeshauptstadt Graz und wird jährlich von tausenden Besucherinnen und Besuchern als Ausflugsziel und Naherholungsgebiet erklommen. Hier kann man bei bester Luft vom Alltag verschnaufen und bei einer Wanderung durch die gemütliche Almlandschaft oder beim fantastischen Rundblick die Seele baumeln lassen. Erforderte die Besteigung des Schöckls einst Abenteuerlust und Wagemut, ist er heute ein leicht, per Seilbahn zu erreichendes Touristenziel, das für Familien, Wanderer und auch Extremsportler/innen allerlei Möglichkeiten für Unternehmungen bietet.
Vor 200 Jahren begannen dann Wandergruppen den Berg von allen Seiten zu besteigen. Einer der ersten „Bergfexe“ war Erzherzog Johann (1782–1859), der den Schöckl am 8./9. Juni 1811 erklomm und dann – vielleicht vom genius loci und dem Panorama auf das Steirerland beflügelt – wenige Tage später seine naturwissenschaftliche Sammlung dem Land Steiermark schenkte und damit die spätere Gründung des Joanneums ermöglichte. Musste Erzherzog Johann noch in einer alten Bauernkeusche übernachten, stand den Schöckltouristen ab 1890 mit dem als Schutzhütte des Österreichischen Alpenvereines eröffneten Stubenberghaus schon eine komfortablere Unterkunft zur Verfügung. Endgültig gezähmt wurde der Schöckl dann mit der Errichtung einer Seilbahn sechzig Jahre später.
In der Zwischenzeit war der Schöckl auch zu einem technologischen Experimentierfeld geworden. Bereits 1909 bezwang der Konstrukteur und „Automobilwildling“ Karl Slevogt (1876–1951) mit einem 22 PS-starken Puch-Wagen den Berg, wobei noch schwere Hinterradketten für die nötige Bodenhaftung entlang der lehmig bis felsigen Hohlwege sorgten. Nach dieser Pioniertat wurde der Schöckl zum Testgelände der Steyr-Daimler-Puch AG und ist bis heute Prüfstein für viele Allradfahrzeuge. Neben der Fahrzeugtechnik wurde auch die Raketentechnologie auf dem Schöckl vorangetrieben. Am 2. Februar 1931 startete der Grazer Chemiker und Bauingenieur Friedrich Schmiedl (1902–1994) vom Gipfel aus die erste Postrakete der Welt und beförderte damit rund 100 Briefe ins Tal. Auch wenn sich diese Art der Flugpost als Sackgasse erwies, so gehört doch Schmiedl heute zu den österreichischen Weltraumpionieren.
Soweit zur allseits bekannten Geschichte des Schöckls, die erst seit wenigen Jahren durch eine weitere Facette bereichert wird: die Archäologie.
Seit 2015 erforscht das Institut für Archäologie der Karl-Franzens-Universität Graz ein römisches Höhenheiligtum auf dem Ostgipfel des Schöckls, das bislang nur in Vorberichten publiziert worden ist [2], aber immerhin schon mehrfach Thema im Forum Archaeologiae war [3]. Neben einem ausgedehnten Survey sind es vor allem die jährlichen Grabungskampagnen zwischen 2016 und 2019, die Informationen zum antiken Kultgeschehen lieferten und zumindest zwei Aktivitätszonen erkennen lassen. Einerseits auf dem Ostgipfel, wo ein mindestens 11 mal 10m großes, in seinem Grundriss untypisches Kultgebäude mit aufwendigen Wandmalereien nachgewiesen werden konnte, und andererseits ein 30m westlich davon liegender Weiheplatz, wo eine auffällige Fundhäufung im planierten Vorbereich einer Doline festgestellt wurde. Die mehrfach auf dem Schöckl vorkommenden Karsttrichter und Höhlen sowie die exponierte Lage des Ostgipfels und der phänomenale Rundblick an dieser Stelle dürften wohl maßgeblich für die Ortswahl des Kultplatzes in der Antike gewesen sein.
Unter den Weihegaben der beiden Aktivitätszonen finden sich schwarze Glasarmreifen, hunderte bunte Glasperlen, beinerne Haarnadeln, eiserne Fingerringe, silberne Lunula-Anhänger, Fibeln, Münzen, Votivfiguren und -spiegelrahmen aus Blei sowie fragmentierte Terrakottafiguren und Bruchstücke von Keramik- und Glasgefäßen. Besondere Bedeutung kommt dabei den 91 bislang geborgenen Münzen zu, die den Kaisern von Titus bis Constantius II. zuzuordnen sind und die Kultaktivitäten auf dem Schöckl zwischen dem letzten Drittel des 1.Jhs. bis mindestens zur Mitte des 4.Jhs. n.Chr. datieren.
Die Zusammensetzung des Fundmaterials zeigt, dass es sich beim Schöckl-Heiligtum vor allem um einen von Frauen und Mädchen aufgesuchten Weiheplatz gehandelt haben muss. Mangels jeglicher epigraphischer Evidenz bleibt jedoch offen, welche Gottheit(en) hier konkret verehrt wurden. Trotz vieler offener Fragen, die u.a. die Baustrukturen, Kultabläufe oder die sakrale Ausrichtung des Heiligtums betreffen, schien nach fünf Jahren Forschung die Zeit gekommen, um mit den für die steirische Archäologie sensationellen Grabungsergebnissen an die Öffentlichkeit zu gehen und das Fundmaterial im Rahmen einer Ausstellung im Jahr 2020 zu zeigen.
Die Abteilung Archäologie & Münzkabinett am Universalmuseum Joanneum war gerne bereit, die Räumlichkeiten für eine derartige Schau zur Verfügung zu stellen und in Kooperation mit dem Institut für Antike der Universität Graz ein Konzept für eine Sonderausstellung zu erarbeiten. Das Kuratorenteam – Manfred Lehner, Daniel Modl, Karl Peitler und Robert Pritz – konnte noch im November 2019 im Rahmen eines Treffens die inhaltliche Ausrichtung der Sonderausstellung klären, sodass im Jänner des darauffolgenden Jahres bereits Ausstellungsansichten visualisiert und eine Objektauswahl getroffen war. Die intensive Beschäftigung mit dem Fundmaterial im Zuge der Ausstellungsvorbereitung führte auch dazu, dass so manche Neuentdeckung gemacht wurde, so konnte beispielsweise unter den Bleifunden der Kopf eines bereits publizierten Bleivotivs [4] identifiziert werden, das den Gott Mars darstellen dürfte.
Während man sich in der Folge gezielt der textlichen Ausgestaltung der Sonderausstellung widmen konnte, mussten auch die Marketing- und Presseaktivitäten koordiniert werden, wozu man beispielsweise ein Ausstellungssujet für Plakate definierte, die Social-Media-Aktivitäten plante und ein Rahmenprogramm ausarbeitete. Als man im März mit der baulichen Umsetzung der Sonderausstellung beginnen wollte, erreichte die COVID-19-Pandemie Österreich, und mit dem Stillstand des öffentlichen Lebens geriet auch die Sonderausstellung in den Hintergrund. Trotz aller mit der Coronavirus-Krise in Zusammenhang stehenden Unwägbarkeiten entschloss sich das Kuratorenteam, die Arbeiten an der Sonderausstellung weiterzuführen und sie den Besucherinnen und Besuchern möglichst zeitnah ab 23. Juli 2020 im Archäologiemuseum in Schloss Eggenberg zugänglich zu machen. Zudem wurde beschlossen, die Laufzeit der Sonderausstellung auf das Jahr 2021 auszuweiten.
Mit dem Ausstellungsbeginn wird auch die jährliche Forschungsgrabung auf dem Schöckl verknüpft sein, die am 13. Juli 2020 beginnen soll und für zwei bis drei Wochen quasi den „Außenposten“ der Ausstellung bildet. Diese archäologische Untersuchung wird durch eine Förderung des Bundesdenkmalamtes möglich gemacht und soll helfen, den Grundriss des Kultgebäudes auf dem Ostgipfel zu vervollständigen und neue Hinweise auf die Opferhandlungen zu gewinnen.
Die Besucherinnen und Besucher der Ausstellung dürfen sich demnach einen aktuellen Einblick in die Forschungen erwarten und werden erstmals die Gelegenheit erhalten, das Fundmaterial vom Schöckl in seiner Gesamtheit zu sehen. Im Sonderausstellungsraum werden neben den bereits beschriebenen Kleinfunden auch hunderte farbenprächtige Wandmalereifragmente sowie Teile von Dachziegeln und eine Steinbasis präsentiert werden, die die baulichen Reste des Heiligtums darstellen. Zudem wird den Münzen ein besonderer Platz eingeräumt, da sie ein wertvoller Informationsträger sind, der nicht nur die Datierung der Kultaktivitäten erlaubt, sondern teilweise auch weitreichende Aussagen zur Herkunft der Opfernden zulässt. So legten einige Münzen durchaus lange Wege zurück, bevor sie auf dem Ostgipfel niedergelegt wurden, wie etwa eine silberne Tetradrachme belegt, die 215/17 n.Chr. in Emesa, dem heutigen Homs in Syrien, geprägt wurde und vielleicht als Erinnerungsstück in der Tasche eines Soldaten den Schöckl erreichte.
In der Sonderausstellung wird demnach auch der Frage nachgegangen, welche Faktoren für die große Anziehungskraft des Schöckl-Heiligtums in der Römerzeit verantwortlich waren. Ein Grund dürfte sicherlich in dem fantastischen Panorama gelegen haben. Ein entsprechendes Wetter vorausgesetzt, sieht man nach West-Ungarn hinein, erkennt die Spitzen des 1032m hohen Sljeme bei Zagreb oder des 2864m hohen Triglav an der slowenisch-italienischen Grenze, während im Südwesten und Westen die Koralpe und die Seetaler Alpen bzw. im Norden die Eisenerzer Alpen ins Blickfeld geraten. Dieser Rundblick wird in der Ausstellung mit Hilfe eines gezeichneten Schöckl-Panoramas vom Beginn des 20. Jahrhunderts dargestellt [5], das den Berg quasi in die Mitte eines „schöcklzentrischen“ Weltbildes rückt. Ergänzt wird die Darstellung durch ein Video, das in Kooperation mit der Flugschule Steiermark entstand und einen Drohnenflug über den Ostgipfel bietet [6].
Die Sonderausstellung möchte sich aber nicht nur der römerzeitlichen Nutzung des Schöckls widmen, sondern dessen gesamte Geschichte präsentieren. Aus diesem Grund wird in einem zweiten Ausstellungsteil den bereits eingangs beschriebenen historischen Begebenheiten und skurrilen Anekdoten rund um den Berg nachgespürt. Eingebettet werden diese Themen in ein großes Wandpanel, das Zeitschriften- und Zeitungsaufsätze aus fast 200 Jahren Schöckl-Berichterstattung wiedergibt und damit an ein aufgeschlagenes Buch erinnert. In diesem Teil der Sonderausstellung erhalten die Besucherinnen und Besucher auch die Möglichkeit, ihre Erlebnisse zum Schöckl mit der Allgemeinheit zu teilen, indem sie Nachrichten, Zeichnungen oder Fotos hinterlassen, die dann auch Eingang in ein ständig wachsendes Wandbild finden sollen.
Mit diesem kurzen Vorbericht sei hoffentlich das Interesse für die Sonderausstellung geweckt, wobei auch die Leser/innen dieses Beitrags herzlich dazu eingeladen sind, mit uns eine Schöckl-Erinnerung in der Ausstellung oder über die Social-Media-Kanäle zu teilen.
Zur Sonderausstellung:
Die Römer auf dem Schöckl
23.7.-31.10.2020 und 27.3.-31.10.2021, 10-17 Uhr
Archäologiemuseum, Schloss Eggenberg, Eggenberger Allee 90, 8020 Graz, Österreich
T +43-316/8017-9560 / archaeologie@museum-joanneum.at / https://www.museum-joanneum.at
Literatur
Lehner 2018a
M. Lehner, Eine ausgewählte Fundstelle: Das römerzeitliche Höhenheiligtum am Schöckl bei Graz, in: B. Hebert (Hrsg.), Urgeschichte und Römerzeit in der Steiermark, Geschichte der Steiermark 1 (Graz 22018), 718–722
Lehner 2018b
M. Lehner, Neues vom römerzeitlichen Höhenheiligtum am Berg Schöckl bei Graz, Forum Archaeologiae 86/III/2018 (http://farch.net)
Münzer 1990
E. Münzer, Der Schöckel – Hausberg der Grazer (Graz 1990)
Pritz 2018
R. Pritz, Frühchristlich-apokryphe Botschaft oder doch nur banale Kritzelei? – Überlegungen zu einer römischen Gemme, Forum Archaeologiae 89/XII/2018 (http://farch.net)
Pritz – Lehner 2020
R. Pritz – M. Lehner, Das römische Höhenheiligtum am Schöckl bei Graz, Forum Archaeologiae 94/III/2020 (http://farch.net)
Steigberger 2016
E. Steigberger, Von Göttern und anderen Dingen oder: Was uns ein kleines Stück Metall erzählen kann …, in: G. Koiner – U. Lohner-Urban, „Ich bin dann mal weg“ – Festschrift für einen Reisenden. Thuri Lorenz zum 85. Geburtstag, Veröffentlichungen des Instituts für Archäologie der Karl-Franzens-Universität Graz (VIKA) 13 (Wien 2016), 211–214
Trobas 1998
K. Trobas, Der Schöckl. Geschichte und Geschichten vom Grazer Hausberg von der Vorzeit bis 1995 (Graz 1998)
[1] Zur Geschichte des Schöckls: Münzer 1990; Trobas 1998.
[2] Zuletzt: Lehner 2018a, 718–722.
[3] Lehner 2018b; Pritz 2018; Pritz – Lehner 2020.
[4] Steigberger 2016, 211–214.
[5] Neues Schöckel-Panorama, Leykam-Verlag, ohne Jahr.
[6] Unser Dank geht hier an Willibald Friedrich und Simon Oberrauner.
© Manfred Lehner, Daniel Modl, Karl Peitler, Robert Pritz
e-mail: manfred.lehner@uni-graz.at, daniel.modl@museum-joanneum.at, karl.peitler@museum-joanneum.at, robert.pritz@uni-graz.at
This article should be cited like this: M. Lehner – D. Modl – K. Peitler – R. Pritz, Die Römer auf dem Schöckl – Eine Sonderausstellung im Archäologiemuseum des Universalmuseums Joanneum, Forum Archaeologiae 95/VI/2020 (http://farch.net).