Forum Archaeologiae - Zeitschrift für klassische Archäologie 75 / VI / 2015

DIE SATYRGRUPPE IN DER ARCHÄOLOGISCHEN SAMMLUNG – KOPIE EINES ANTIKEN ORIGINALS ODER NEUSCHÖPFUNG DES 19. JAHRHUNDERTS

Der Gipsabguss einer sich früher in Grazer Privatbesitz befindenden Gruppe (Abb. 1), die über Sotheby's New York verkauft wurde [1], ist Anlass folgender Überlegungen.

Eine Gruppe von kämpfenden Satyrn ist wahrscheinlich schon 1488 in Rom gefunden worden. Davon berichtete Luigi di Barberino in einem Brief vom 13. Februar 1488 an Lorenzo il Magnifico in Florenz [2]. Bei einem Kunsthändler in Rom, so schreibt er, habe er "einige schöne Dinge (alcune belle cose)" gesehen, die in einem Kloster gefunden worden seien. Da die Funde aber dem Kardinal von San Pietro in Vincoli, Giuliano della Rovere, dem späteren Papst Julius II. und selbst wichtiger Sammler, zu Ohren gekommen seien, habe dieser verboten, dass sie jemandem gezeigt würden und dass man dort weiter grabe. Der Kunsthändler und ein Genosse (compagno), der anwesend war und dem er die Dinge auch zeigte, haben des Nachts dennoch gegraben. Sie fanden drei kleine Satyrn (faunetti) auf einer Marmorbasis (suna basetto di marmo), alle drei durch eine große Schlange verbunden. Nach dem Urteil des Briefschreibers seien sie sehr schön, so gestaltet, dass man glaube, ihre Stimmen zu hören, als ob sie atmeten, schrien und sich verteidigten; der in der Mitte scheint gefallen zu sein und zu sterben. Sie sollten 50 Dukaten kosten, was nicht abenteuerlich sei, denn man müsse auch den compagno zufrieden stellen, damit er die Sache nicht öffentlich mache.
An diese Briefstelle hat A. Schober gedacht, als ihm von einem Privatmann aus Graz eine kleine Marmorgruppe gezeigt wurde [3]. Schober war 1935/36 als Archäologe an die Universität Graz berufen, kurz davor war bereits sein Vorgänger R. Heberdey auf die Gruppe aufmerksam geworden [4]. Wegen dessen plötzlichen Todes sei es jedoch zu keiner Veröffentlichung gekommen. Schober [5] beschreibt die Gruppe und zeigt auf, wie sehr sie der im Brief von 1488 beschriebenen Gruppe entspreche. Auf einer flachen, rechteckigen Platte sind drei Figuren eng ineinander geschoben zu sehen. Eine kniet rechts, zurückgelehnt und mit erhobenem rechtem Arm, der über den Kopf geführt ist. Der Satyr schaut nach links. Vor seinen Unterleib und auf das rechte Bein gestützt, lagert die mittlere Gestalt nach links, bis zu einer dritten knienden Gestalt ausgestreckt. Jene wendet sich nach rechts und blickt ebenso nach rechts. Bis auf den rechten Arm des rechten knienden Satyrn fehlen die Arme der knienden Figuren. Um die gesamte Guppe herum sind Schlangenwindungen zu sehen.
Schober geht auch auf die Oberfläche ein und meint, dass sie unsachgemäß gereinigt worden sei und durch das „Abgießen in Gips" einen stumpfen, kalkigen Ton erhalten habe. Da die Gruppe, nach Aussage des Besitzers, in Split in Dalmatien erworben worden sei und auch sonst einige Merkwürdigkeiten aufweise, könne sie seiner Ansicht nach nicht die im Brief aus Rom beschriebene sein. Schober hielt sie für eine Kopie. Ein Gipsabguss befindet sich in den Sammlungen der Universität Graz (Inv.-Nr. 443) und konnte dort eingehend untersucht werden (Abb. 2) [6].

Lorenzo il Magnifico erhielt außer von Luigi di Lotto noch einen anderen Brief mit dem Hinweis auf die Gruppe. Er stammte von Giovanni Nofri Tornabuoni - wahrscheinlich der im Brief von Lotti erwähnte Antikenhändler. Er hatte schon am 30. Januar die Gruppe mit drei faunetti angekündigt [7]. Die Beschreibung der drei Gestalten auf einer Platte (piano) stimmt mit der im Brief von Lotti überein. Tornabuoni gibt aber im Unterschied zu Lotti die Maße an. Die Gruppe sei ungefähr zwei Ellen lang (circa a due braccia). Eine Elle (braccio) maß zur Zeit der Renaissance in Rom etwa 0,58m [8], der Fund in Rom war demnach knapp 1,2m lang. Die Grazer Gruppe misst aber nur 0,75m [9], sie ist also kleiner. Die Höhe der knienden Satyrn der Grazer Gruppe (0,5 bzw. 0,75m) und die von etwas mehr als einer Elle (poco piu che un braccio) der Römischen scheint relativ gleich hoch zu sein. Aus diesem zweiten, erst 1991 veröffentlichten Brief geht demnach hervor, dass die damals gefundene Gruppe nicht die Grazer Gruppe gewesen sein kann. Die Standplatte ist um ein gutes Stück kürzer. Schober war bei seiner Publikation im Jahre 1937 nur der zuerst genannte und 1883 veröffentlichte Brief bekannt [10], der keinerlei Angaben zur Größe der in Rom 1488 gefundenen Gruppe enthält.
Schober hat sich wahrscheinlich zur Veröffentlichung der Grazer Gruppe entschlossen, weil sie gut zu seinen eigenen Forschungen passte. Das Motiv der von einer Schlange bedrängten Satyrn war seit dem Fund der Satyrn im Nymphaeum bei der Porta Tiburtina von Rom (Porta San Lorenzo) [11] schon mit der Kunst von Pergamon verbunden worden. Schober verweist auf den Liegenden und bildet ihn auch ab [12]. Die Kunst von Pergamon bildete einen Schwerpunkt in Schobers Forschungen. Zudem fügte sich die Grazer Gruppe für ihn in die Diskussion jener Zeit um die so genannten „einansichtigen Gruppen“ gut ein. Dieser Begriff war 1927 in die Forschung eingeführt worden [13].

Schober verwendet gut die Hälfte seines Beitrages über die „Neue Satyrgruppe“, um seine Vorstellungen zur Frage der „einansichtigen Gruppen“ darzulegen. Er geht aber mit keinem Wort auf den Umstand ein, dass die ihm vorliegende Gruppe sich von allen bislang bekannten, antiken Werken dieser Gattung unterscheidet. Während dort die einzelnen Figuren auch bei den Berührungen der erotischen Gruppen die Körper als Ganze erhalten bleiben, sind die drei Leiber der Grazer Satyrn so in einander geschoben, dass ihre Körper sich teilweise durchdringen. Der Liegende lehnt sich so an den Rechten, dass dessen Unterleib in ihm verschwindet. Und ebenso ist es schwer, seine Beine in oder unter der linken Figur auszumachen (Abb. 3). Ineinander geschobene Körper sind dagegen eher ein Merkmal antiker Reliefs, bei denen wegen des Reliefgrundes keine realen Tiefen möglich sind, wie z.B. auf den Friesen des Pergamonaltares.

Schober hat schon auf die Nähe zu den Satyrn von der Porta Tiburtina hingewiesen. Der Liegende ist dort von links nach rechts (Abb. 4) gerichtet, bei der Grazer Gruppe von rechts nach links. Trotzdem stimmt die Neigung des Kopfes bei beiden überein. Und während der Römische sich mit seiner rechten Hand auf dem Boden aufstützt, tut dies der Grazer mit der ausgestreckten Linken. Die aufgestützte Hand des Römischen (Abb. 5) ist deutlich die eines Kindes und sorgfältig ausgeführt, die flache Hand des Grazers ist dagegen nur als Umriss gegeben und der Abstand zwischen den Fingern etwas eingetieft (Abb. 6). Der liegende Römische war auch Teil einer Gruppe. Rechts hinter seinem Unterschenkel ragt noch ein Teil des linken Beines einer knienden Gestalt empor. Sie war hinter ihm angeordnet, und nicht mit ihm verbunden. Als wichtigster Unterschied zwischen den beiden Gruppen fällt dabei auf, dass die römischen Exemplare alle eine schön durchgestaltete Bauchmuskulatur und einen schlanken, lang gestreckten Körper haben. Bei der Grazer Gruppe ist der Leib unterhalb der Brust verdeckt, beim Rechten durch den vor ihm Liegenden, bei diesem und dem Linken durch die dicken Schlangenwindungen. Diese Satyrn sind kurz gewachsen und wirken gedrungen und von der Rückseite (Abb. 3) fast unförmig.

Der Brief von Februar 1488, in dem die Maße der damals gefundenen Gruppe nicht genannt sind, wurde 1883 publiziert. Zwischen September 1882 und Oktober 1884 wurden die Satyrn bei der Porta Tiburtina gefunden [14]. Der Verdacht, dass sie auf die Gestaltung der Grazer Gruppe eingewirkt haben können, ist schon geäußert worden [15]. Vorausgesetzt, dass diese Vermutung zutrifft, und die Grazer Gruppe um die Mitte der achtziger Jahre des 19.Jhs. entstanden ist, gilt es einen Blick auf den Bildhauer zu werfen, dem die Herstellung dieses von der archäologischen Wissenschaft lange unwidersprochen für antik gehaltenen Werkes möglich war. Seine Ausbildung geschah offensichtlich in einer klassizistischen Werkstatt. Dort hat er die in diesem Umfeld gültigen Regeln und Vorstellungen erfahren. Auf dieser Grundlage hat er die formalen Vorgaben der neu gefundenen Satyrn mit der Beschreibung im Brief von 1488 verbunden, in dem die Schlange wichtig ist. Aus dieser Verbindung erklären sich auch die von den antiken Gruppen abweichenden Merkmale der Grazer Satyrn. Als im späten Klassizismus ausgebildeter Künstler waren ihm sicher jene Gedanken geläufig, die Adolf von Hildebrandt, ein anerkannter klassizistischer Bildhauer dieser Epoche, in einer Schrift über „Das Problem der Form in der Bildenden Kunst“ als Grundzüge des klassizistischen Kunstschaffens theoretisch dargelegt hat. Diese lassen sich bis in die Arbeiten Canovas zurückverfolgen. Hildebrand spricht von „Reliefauffassung“ [16] und meint damit, dass eine Skulptur dann als geglückt und klassisch anzusehen sei, wenn ein Betrachter ihren Inhalt und ihre Aussage von einem Standort aus überschauen könne. Dieser Forderung genügt die Grazer Gruppe vollkommen. Die Rück- und Seitenansichten vermitteln keinen befriedigenden Eindruck [17]. In dem vom Bildhauer verfolgten Konzept musste die im Brief hervorgehobene Schlange dominieren. Deswegen musste sie auch vorne zu sehen und durfte nicht als wichtiges Element vom Leib eines Satyrn verdeckt sein [18], wie es beim Liegenden von der Porta Tiburtina der Fall ist. Hier musste er ändern und kam damit der archäologischen Wissenschaft entgegen, die bis heute von klassizistischen Vorstellungen begleitet wird. Daher konnte die Grazer Gruppe in der Forschung unterschiedlich beurteilt werden. M. Bieber, H.v. Steuben und J.J. Pollitt folgen mit einem Satz dem Vorschlag von A. Schober [19]. Dagegen halten R.M. Schneider und Ch. Vorster die Grazer Gruppe für „nicht antik“ [20].

[*] Einige der hier zu Grunde liegenden Überlegungen wurden bereits 2013 publiziert: T. Lorenz, Satyroi. Anmerkungen zu einem Brief aus dem Jahre 1488, in: G. Kökdemir (Hrsg.), Orhan Bingöl'e 67. Yaş Armağanı. A Festschrift for Orhan Bingöl on the occasion of his 67th Birthhday (Ankara 2013) 379–387.
[1] http://www.sothebys.com/en/auctions/ecatalogue/2010/antiquities-n08644/lot.29.html (09.06.2015). Wir danken Sotheby's New York für die Überlassung der Abbildung.
[2] L. Fusco – G. Corti, Lorenzo de' Medici, Collector and Antiquarian (Cambridge 2006) Doc. 110.
[3] A. Schober, Eine neue Satyrgruppe, RM 52, 1937, 83–93.
[4] E. Diez in: R. Lullies - W. Schiering (Hrsg.), Archäologenbildnisse (Mainz 1988) 152f. (R. Heberdey). 232f. (A. Schober).
[5] Schober ebenda.
[6] Ein Gipsabguss befindet sich in den Sammlungen der Universität Graz (Inv.-Nr. 443) und konnte dort eingehend untersucht werden; Abb. 2.
[7] Fusco – Corti a.O. Doc. 109.
[8] Freundliche Mitteilung von C. L. Frommel, Rom.
[9] Schober a.O. 84.
[10] A. Reumont, Lorenzo de` Medici il Magnifico 2 (Leipzig 18832) 334; Fusco – Corti a.O..
[11] Ch. Vorster, Die Satyriskoi im Conservatorenpalast und das Nymphäum an der Porta San Lorenzo, in: P.C. Bol (Hrsg.), Hellenistische Gruppen. Gedenkschrift für Andreas Linfert (Mainz 1999) 267–294.
[12] Schober a.O. 87 Abb. 1.
[13] G. Krahmer, Die einansichtige Gruppe und die späthellenistische Kunst (Göttingen 1927).
[14] Vorster a.O. 275.
[15] Vorster a.O. 294 Anm. 114.
[16] A. Hildebrand, Das Problem der Bildenden Kunst (Strassburg 19132) 57. Das Buch ist 1893 in erster Auflage erschienen.
[17] Schober a.O. 88.
[18] Schober a.O. Taf. 23; Sotheby`s Antiquities New York 11 Jun. 2010 (2010) lot 29.
[19] M. Bieber, The Sculpture of the Hellenistic Age (New York 19612) 148f.; W. Helbig, Führer durch die Sammlungen klassischer Altertümer in Rom II (Tübingen 1966) Nr. 1467; J.J. Pollitt, Art of the Hellenistic Age (New York 1986) 133. Der Brief mit den Maßen ist erst 1991 publiziert worden.
[20] R.M. Schneider, Torso einer Satyrstatuette, in: P.C. Bol (Hrsg.), Forschungen zur Villa Albani, Katalog der antiken Bildwerke, Schriften des Liebieghauses 2 (Berlin 1990) 366 Anm. 16; Vorster a.O. 294 Anm. 114.

© Thuri Lorenz
e-mail: hanns-thuri.lorenz@uni-graz.at

This article should be cited like this: T. Lorenz, Die Satyrgruppe in der Archäologischen Sammlung – Kopie eines antiken Originals oder Neuschöpfung des 19. Jahrhunderts, Forum Archaeologiae 75/VI/2015 (http://farch.net).



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